Braucht es einen Mindestlohn für die ganze Schweiz?

Pro und Kontra

Das Thema Mindestlohn sorgt immer wieder für rote Köpfe. Im Juni wurde im Kanton Basel-Stadt ein Mindestlohn von 21 Franken von den Stimmbürger*innen gutgeheissen. Hat das Votum sozialpolitische Signalwirkung für die ganze Schweiz?

Ja, wer arbeitet, muss vom Lohn leben können

Pascale Meschberger
ist Ärztin und Mitglied der SP-Fraktion im Landrat Baselland

Der bisher in einigen Kantonen beschlossene Mindestlohn berechnet sich auf Basis der Richtlinien für die Ergänzungsleistungen, womit ein Mensch über der Armutsgrenze leben kann. Ein Urteil des Bundesgerichts bestätigt, dass die Einführung des Mindestlohns aus sozialpolitischen Gesichtspunkten zulässig ist.

Er ist mit dem verfassungsmässig garantierten Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit vereinbar.

Im Unterschied zu zahlreichen europäischen Ländern kennt die Schweiz keinen Mindestlohn für alle Arbeitnehmenden. In einigen Branchen existiert zwar ein Gesamtarbeitsvertrag GAV. Allerdings sind nur zwei von fünf Angestellten solchen Verträgen unterstellt. Mit dem Mindestlohn wird insbesondere dem Problem der »Working Poor« begegnet – in der Schweiz 4,2 Prozent der Erwerbstätigen, mehrheitlich Frauen.

Arbeitstätige müssen genügend für ihren Lebensunterhalt verdienen, ohne zusätzlich von der Sozialhilfe abhängig zu sein. Es kann nicht sein, dass Firmen von der Auszahlung tiefer Löhne profitieren und so indirekt durch den Staat subventioniert werden.

Zudem geht es um Fairness gegenüber den Mitarbeitenden, aber auch gegenüber anderen Geschäften, welche korrekte Löhne bezahlen. Die bisherigen Erfahrungen aus der Romandie sind positiv. Leider existieren bisher kaum Studien.

Nach Annahme des Mindestlohns von 21 Franken in Basel-Stadt werden einzelne Deutschschweizer Kantone dem positiven Beispiel folgen. Ich bin davon überzeugt, dass in einigen Jahren der Mindestlohn in der ganzen Schweiz eingeführt werden muss und wird.

Nein, lieber ein Lohn als gar keiner

Dieter Kläy,
Ressortleiter Arbeitsmarkt,
Schweizerischer Gewerbeverband sgv

Mit 76 Prozent der Stimmen lehnte der Souverän 2014 einen nationalen Mindestlohn ab. Trotz des klaren Volksverdikts werden nun Mindestlöhne in den Kantonen eingeführt, zuletzt in Basel mit 21 Franken pro Stunde.

Die Festsetzung der Löhne ist nicht Aufgabe des Staates, sondern Sache der Arbeitgebenden, ihrer Mitarbeitenden und der Sozialpartner.

Gerade dank der funktionierenden und erfolgreich gelebten Sozialpartnerschaft in der Schweiz profitieren wir alle von einer tiefen Arbeitslosigkeit.

Mit den Mindestlohninitiativen wird dieser Dialog untergraben. Ein staatliches Lohndiktat, das undifferenziert alle über den gleichen Leisten schlägt, bedroht Unternehmen, Arbeitsplätze und ganze Existenzen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die 99,8 Prozent der Schweizer Unternehmen ausmachen, sind besonders betroffen.

Der Arbeitsmarkt hat seine Integrationsleistung längst
unter Beweis gestellt und verfügt über ein Netz von weitreichenden sozialen Sicherheiten. Die Mindestlohninitiative trifft nun genau jene, welche die Initianten angeblich schützen wollen. Sie nimmt Jugendlichen vor dem Berufseinstieg Perspektiven und erschwert Menschen den Wiedereinstieg ins Berufsleben. Auch weniger gut Qualifizierten werden unnötig Steine auf ihren Weg in den Arbeitsmarkt gelegt und Firmen dürften Studierenden, die einen Ferienjob suchen, weniger Möglichkeiten anbieten. Gewisse Gruppen von Leuten werden gar nicht mehr eingestellt. Mindestlohninitiativen entpuppen sich als sozialpolitischer Bumerang, weil sie die Arbeitsmarktintegration und den Berufseinstieg erschweren. Lieber ein Lohn als gar nichts.

Aus «aufbruch, unabhängige Zeitschrift für Religion und Gesellschaft»

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Animation laden...Animation laden...Animation laden...

Newsfeed